Es war später Nachmittag geworden und die Sonne, die das Gras auf den Hängen der Berge beschien, näherte sich langsam dem Horizont. Die Natur lag in friedvoller Stille und in Erwartung eines ebenso ruhigen Abends da, gestört nur vom metallischen Klang, den die Klingen zweier Schwerter verursachen, wenn sie sich im Kampf treffen. Auf einer der Wiesen unterhalb der Baumgrenze, wo die Landbevölkerung ihre Tiere weiden ließ, konnte man zwei Männer beim Fechten beobachten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Der eine war ein junger Bursche, der wohl noch nichteinmal zwanzig Sommer zählte, sein Kontrahent in ihrem Kampf, der offensichtlich zur Übung diente, hatte bereits das Greisenalter erreicht. Der jüngere führte einen Zweihänder der alt und schartig war, der ältere war nur mit einem Kurzschwert bewaffnet. Feldhasen und Kühe waren die einzigen Zuschauer bei ihrem Kampf, der sich eine ganze Weile hinzog bis er schließlich damit endete, dass der Greis sein Kurzschwert in den Boden steckte.
"Gut Aaron, das genügt für heute denke ich." sagte er etwas ausser Atem zu dem Jüngling, der daraufhin auch seine Klinge sinken ließ und sich ins Gras warf. "Mit dem Zweihänder kann ich dir nichts mehr beibringen, esseidenn ein Wunder geschieht." fuhr Aarons Lehrer mit einem versteckten Lächeln fort. "Du solltest bei Schwert und Schild bleiben, mit ihnen bist du am besten." riet er. Der Angesprochne schaute auf. "Vielleicht liegt es daran, dass der Zweihänder mit dem ich übe genauso alt und rostig ist wie du Orgar!" erwiderte er vergnügt und kassierte dafür ein Kopfschütteln des Älteren, der sich erhob und streckte. "Wir beenden deine Ausbildung." sagte er knapp. Aaron schaute verwundert und erhob sich ebenfalls, wobei er sich das Gras aus dem Leinen seiner Kleidung klopfte. "Für heute, ja." Das klang fast wie eine Frage. Orgar schüttelte den Kopf. "Für immer Aaron. Ich kann dich nichts mehr lehren. Du magst vielleicht noch nicht so gut sein, dass du mich binnen weniger Atemzüge schlägst, allerdings ist deine Verteidigung für mich undurchdringlich geworden und du hast die größere Ausdauer." Er machte eine Pause und musterte seinen Schüler, der offensichtlich überrascht und sprachlos war. "Du machst wenn wir üben einen alten Mann müde, der keine Chance mehr hat, dich zu besiegen." fuhr Orgar stolz fort.
Aaron grübelte und blickte an sich herab. Tatsächlich, Orgar hatte ihn schon eine ganze Weile nicht mehr getroffen, kein einziger blauer Fleck war zu erkennen wo der Stoff seinen Körper nicht bedeckte und auch darunter war keiner zu finden, das wusste er. Aaron sah seinem Lehrer in die Augen und erkannte die Anerkennung darin. "Es ist ein alternder Veteran, ein großer Kämpfer, den ich ermüde." Orgar grinste und zeigte dabei mehrere Zahnlücken. "Der große Kämpfer war ich einst, doch meine Schwerttage sind nun vorbei. Du warst mein letzter Schüler Aaron. Nach dir werde ich keinen mehr unterweisen. Ich möchte mich nun endlich zur Ruhe setzen mein Junge." Der Jüngere nickte zögernd. Orgar zog das Kurzschwert aus der Erde und steckte es in seinen Gürtel, wie immer wenn die Übungen beendet waren. Aaron nahm den Zweihänder auf und folgte dem alten Krieger den Hang hinab in Richtung des Gehöfts seiner Eltern, an dem sie immer Abschied nahmen.
"Ich weiss, dass diese Gipfel dich nicht mehr lange halten werden Aaron." bemerkte Orgar wenig später unterwegs und brach damit das Schweigen, das sich über die beiden Männer gelegt hatte. "Lass mich dir noch etwas mitgeben bevor ich dich aus deiner Ausbildung entlasse." Er hielt andächtig inne um sich der Aufmerksamkeit seines Schülers zu vergewissern. "Was immer dir in der Welt begegnen wird, ganz gleich ob es gut oder böse ist, du musst ihm mit einem starken Willen und einem offenen Herzen begegenen. Denn alles was geschieht ist der Wille der Götter." Wieder machte er eine Pause. "Du warst der letzte meiner Schüler, Aaron, vielleicht auch der begabteste. Aber du darfst dich ganz gleich was du in deinem Leben noch lernst, niemals überschätzen. Ein Mann kann vieles bewegen, nur mit dem Schwert in der Hand. Doch die wirklich großen Dinge bewegt er mit dem Herzen, mit der Kraft seines Willens und durch die Liebe der Menschen, die ihm nahestehen. Verstehst du das?" Aaron nickte. "Gut. Ich mag dich zum Kampf ausgebildet haben, doch das wichtigste im Leben ist nicht, dass man eine Waffe führen kann. Das wirst du schon noch herausfinden." Aaron war verwirrt. Hatte ihn Orgar nun jahrelang ausgebildet um ihm am Ende zu sagen, dass er nicht auf das Leben vorbereitet war? Der Alte erkannte die Frage, die in den Augen seines Schülers brannte. "Ich habe dir das Werkzeug gegeben, das du brauchen wirst um zu überleben. Was du sonst daraus machst liegt ganz bei dir." Er blieb stehen, denn sie hatten das Gehöft erreicht, aus dessen Schornstein Rauch aufstieg. "Hier trennen sich unsere Wege, die von Lehrer und Schüler. Von nun an sind wir beide gleich, Männer, Freunde." Er lächelte und hielt Aaron die Hand hin, die dieser sogleich nahm und drückte. Dann machte sich Orgar auf den Weg nach Hause, einen Aaron zurücklassend, dem mehr Fragen durch den Kopf gingen wie jemals zuvor.
Als er am Abend in seinem Bett im Haus seiner Eltern lag fasste er den Entschluss, seine Welt zu vergrößern, ihre Grenzen nicht mehr von den Gipfeln der Berge bestimmen zu lassen sondern hinaus zu ziehen um zu sehn, was dahinter lag. Manches wusste er bereits aus Geschichten und Erzählungen der Händler, die das Tal oft durchquerten und Halt machten um ihre Waren anzupreisen. Aber er war noch nie dort gewesen. Das würde sich nun ändern. Er, Aaron Ark, dessen Eltern einfache Leute waren, würde sie für sich entdecken...
von Osrik